Clara erzählt, wie sie das Laufen gelernt hat.

 

Hallo, ich bin Clara!

 

Die Geschichte über meinen Krankheitsbeginn konntet Ihr schon 2015 im Internet lesen.

 

Damals konnte ich noch nicht laufen. Inzwischen ist das anders, jetzt flitze ich durch den Garten!

 

Ich möchte heute mit meiner Geschichte vor allem den Kleinen von Euch Mut machen, wobei ich natürlich auch weiß, dass das Laufen nicht bei allen klappt, auch wenn Eure Eltern alles versuchen bzw. versucht haben.


Der Weg zum freien Laufen war für mich echt hart, ich musste richtig viel arbeiten und die Meisten hielten mich für einen ziemlich hoffnungslosen Fall, was echt deprimierend war.

 

Kurz vor meinem zweiten Geburtstag, als die Diagnose „RETT-Syndrom“ bei mir gestellt wurde, wusste ich noch gar nicht, wofür man überhaupt Füße und Beine hat. Jedes Mal, wenn mich jemand auf die Füße gestellt hat, habe ich sie sofort wieder eingezogen, so dass ich noch nicht mal in den Stand kam. Meine Mama musste auf Wunsch meiner damaligen Therapeutin Fußmassagen für mich erlernen und meine Füße bandagieren, aber wirklich weitergebracht hat mich das nicht.

 

Als wir die Therapeutin gewechselt hatten, habe ich dann erste Fortschritte gemacht. Frau Müller hatte eine tolle Sprossenwand, an der hingen viele verschiedene bunte Spielsachen, Wäscheklammern und eine Glocke, so wie sie die Kühe auf der Weide umhängen haben. Da ich mit allem spielen wollte, musste ich immer eine kleine Weile stehen bleiben. Meine Mama hat das Zuhause nachgemacht. Sie hat einfach den alten Laufstall meiner großen Schwester Luise mit bunten Holzspielsachen, weichen Schmusetüchern und Massagebürsten und – rollen behängt, alles auf einer Höhe, damit ich es problemlos anfassen und in den Mund nehmen konnte. So habe ich dann jeden Tag ein bisschen länger gestanden und gespielt bzw. die Sachen in den Mund gesteckt. Der Laufstall wurde mit weichen Decken ausgelegt, so dass ich mir nicht wehgetan habe, wenn ich hingefallen bin.

 

Gleichzeitig hat die Therapeutin meiner Mama beigebracht, wie sie mich – an den Armen unterstützt – wie eine Marionette – laufen lassen kann. Zog man mich am rechten Arm hoch, habe ich das rechte Bein gehoben – zog man mich am linken Arm hoch, habe ich das linke Bein gehoben. So musste ich abwechselnd im Laufstall stehen oder wie eine Marionette Schritte machen. Manchmal habe ich ziemlich gemotzt. Aber Mama, Papa, Oma und Opa waren ganz schön hartnäckig. Na gut, sie haben dabei meine Lieblingskindermusik angemacht, da war ich auch motiviert.

Nachdem ich dann vier Monate wie eine Marionette zum Laufen dirigiert wurde, hatte ich die Nase endgültig voll – ich wollte nicht mehr den anderen nach der Pfeife tanzen. Ich habe dann einfach mal alle überrascht und habe Schritte aus eigenem Antrieb gemacht, ohne dass man mich dabei an den Armen hochziehen musste. Aber man musste mich schon noch an den Armen festhalten, denn frei laufen konnte ich ja noch nicht. Ich hatte es zu dieser Zeit schon einmal um den Esstisch geschafft!

 

Super war die Faschingszeit 2016: Ich war ein Marienkäfer und zu den tollen Faschingsliedern bin ich – natürlich noch geführt von meiner Mama – immer längere Zeitspannen gelaufen. Zwischendurch habe ich in meinem Laufstall gestanden und die angehängten Spielsachen untersucht. Das alles hat meine Muskeln sehr trainiert. Im Frühling 2016 habe ich es dann geschafft, geführt zum Spielplatz zu laufen. Das war echt toll. Die anderen Kinder haben richtig gestaunt!

 

Im Sommer 2016 waren wir dann zur Kur an der Ostsee.  Da wurde ich am Strand durch den Sand geführt. Ich wollte immer mit meinen Füßen im Wasser sein. Eigentlich hatten meine Eltern gehofft, dass ich dort das erste Mal frei laufe, das war aber nicht so. Ich bekam dort Scharlach und wurde sehr krank. Auch die Medizin schmeckte scheußlich. Zurückgekehrt aus der Kur musste meine Mama nach drei Jahren Elternzeit wieder anfangen zu arbeiten. Da hat Oma sehr viel mit mir trainiert. Sie hat mich nur noch ein wenig am Kragen gehalten, da bin ich fast schon alleine gelaufen. Auch im Kindergarten haben sie mit mir Laufen geübt.  

 

An einem Samstag im September 2016 (1 Monat nach meinem 3. Geburtstag) bin ich dann mit meiner Mama und meiner Schwester Luise auf der Straße spazieren gegangen. Mama hat nur noch ihre Hand leicht auf meinen Rücken gelegt, so dass ich mich sicher gefühlt habe. Plötzlich hat sie die Hand losgelassen und ich bin ganz alleine weitergelaufen. Mann, war ich stolz, das könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen! Endlich kann ich frei laufen, wie meine große Schwester Luise! Luise hat gleich Papa aus dem Haus geholt, damit er auch schaut, wie gut ich laufe. Oma und Opa wurden angerufen und die Nachricht wurde verkündet. Dann wurden Videos von mir gedreht (wie ich laufe und hinplumpse) und in die ganze Welt verschickt. Komisch, alle haben gesagt, dass sie sich so sehr für mich freuen und haben trotzdem geweint. Ich habe gelacht, ich weine nämlich nur, wenn es mir schlecht geht, aber mir ging es nicht schlecht. Ich war glücklicher als je zuvor: Endlich groß! Endlich frei! Endlich kann ich im Garten zu den Pflanzen laufen und die Blumenköpfe abreißen und sie in den Mund stecken  (auch wenn ich mich dafür beschimpfen lassen muss). Den kleinen Kirschbaum, der etwas größer ist als ich, den habe ich völlig ruiniert - der hat kein einziges Blatt mehr.

 

Inzwischen (Sommer 2017) renne ich sogar schon in unserem Trampolin. Hüpfen kann ich noch nicht, aber das möchte ich auch noch lernen. Ich kann auch nicht selbständig aufstehen. Ich muss immer hingestellt werden, wenn ich laufen möchte -  erst dann laufe ich los -, aber ich hoffe, ich lerne auch noch das Aufstehen. Meistens trage ich einen Helm. Ich habe nämlich schon viele Beulen beim Hinfallen kassiert, aber ich werde immer sicherer.

 

Jetzt muss ich aber erst mal zur Kinderreha nach Köln (Galileo). Meine Mama hat mir versprochen, dass ich – wenn wir von der Reha zurückkommen – das Reiten ausprobieren darf. Ich interessiere mich nämlich sehr für Pferde und schaue ihnen oft zu, wenn sie auf der Weide sind. Hunde mag ich übrigens auch.

 

Leider hat mir Mama auch schon angekündigt, dass sie mir zukünftig mehr Manieren beibringen möchte. Das würde für mich bedeuten: kein Geschirr mehr vom Tisch werfen und keine Tischdecken mehr herunter ziehen. Mütter können solche Spielverderber sein!!!! Und sie wünscht sich, dass ich in die Toilette pinkele. Naja – mal schauen, alles lasse ich mir auch nicht bieten.

 

 

 

Bis demnächst

 

Eure Clara

 

(Sommer 2017)